Besonders viele Chancen hat sie nicht. Ein paar kurze Nächte um Mittsommer. Dann, wenn die Sonne am höchsten steht. Wenn die Natur ihre volle Kraft entfaltet. Es kreucht, fleucht, wimmelt und wuselt auf den blühenden Wiesen. Ihr eigenes Überleben – und auch das aller anderen Glühwürmchen, die im Volksmund auch Johanniswürmchen genannt werden – hängt an einer kleinen biochemischen Reaktion am Hinterleib der Weibchen. Damit locken sie die Männchen an. Das Weibchen sucht sich eine gut sichtbare Stelle. Ob er sie finden wird? Da! Der Bräutigam fliegt bereits mit seinen grossen Augen, welche ihm die Evolution für ebendiesen Zweck beschert hat, durch die Nacht. Er begibt sich in den Sinkflug. Gerade so hoch, dass er die Übersicht hat. Und tief genug, damit er die Lichter der paarungswilligen Weibchen erspähen kann. Hier eines. Und dort. Ein ganzes Weltall. Er schwirrt froh. Dann lässt er sich zielgenau auf eines der Lichter fallen. Wenige Tage nach der Paarung legt sie ihre Eier. 60 bis 80 Stück. Und stirbt.
Einen Monat später werden ihre Jungen schlüpfen. Nachtaktive, kleine Larven, die permanent wachsen und sich häuten. In der Gestalt ähneln sie ihrer Mutter. Und sie sind gefrässig. Nackt- und Häuserschnecken überwältigen sie mit einem giftigen Biss. Auch Tiere, die viel grösser sind als sie selbst, schleppen sie an einen ruhigen Ort und verspeisen sie – meist innerhalb eines Tages. Nach zwei bis drei Jahren verpuppen sie sich. Danach beginnt ein romantischer, tragischer Wettlauf gegen die Zeit. Wer innerhalb von zwei Wochen keinen Partner findet, der stirbt.